ALES Tagung am 18. Juni 2012 zum Thema „Öffentlichkeitsarbeit und Amtsverschwiegenheit – ein Widerspruch?“
Am 18. Juni 2012 fand im Großen Festsaal des Bundesministeriums für Justiz die ALES-Tagung zum Thema "Öffentlichkeitsarbeit und Amtsverschwiegenheit - ein Widerspruch?" statt. Die Tagung wurde durch ALES-Leiterin Prof. Reindl-Krauskopf sowie von Seiten des Bundesministeriums für Justiz als Gastgeber der Veranstaltung durch Sektionschef Mag. Christian Pilnacek eröffnet.
Unter der Moderation von stv. Chefredakteur Dr. Andreas Koller (Salzburger Nachrichten) diskutierten Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Bundesministeriums für Inneres, EStA Mag. Gerhard Jarosch, Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und langjähriger Mediensprecher, Verfassungsrechtler Univ.-Prof. Dr. Walter Berka von der Universität Salzburg sowie Strafrechtlerin Univ.-Prof. Dr. Susanne Reindl-Krauskopf von der Universität Wien. In Impulsreferaten wurde das Spannungsfeld zwischen einer effektiven Öffentlichkeits- und Medienarbeit einerseits und den Verschwiegenheitspflichten von Staatsorganen anderseits aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet.
Den Beginn machte Karl-Heinz Grundböck. Er berichtete von Problemen der Medienarbeit im Zusammenhang mit polizeilicher Tätigkeit. Grundböck schilderte ua den Fall "Emden" als ein sehr drastisches Beispiel, wie Informationen, die im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahrens an die Öffentlichkeit gelangen, sei es durch klassische Printmedien, sei es durch soziale Netzwerke, erhebliche Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten bewirken können. Nach Bekanntwerden der Personalien des 17-jährigen Verdächtigen hatte eine Menschenmenge sogar zur Lynchjustiz schreiten wollen.Kurze Zeit danach war die Unschuld des 17-Jährigen erwiesen. Grundböck betonte insbesondere die Bedeutung der Professionalisierung der Medienarbeit, um einen "polizeilich-publizistischen Dramatisierungsverband" zu vermeiden.
Als zweiter Referent stellte EStA Mag. Gerhard Jarosch die Probleme der Medienarbeit im staatsanwaltschaftlichen Bereich dar. Hier gelte es insbesondere in spektakulären Ermittlungsverfahren, die gegen Personen öffentlichen Interesses geführt werden, eine Balance zwischen dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und den Rechten des Beschuldigten zu finden. Dabei unterschied Jarosch zwischen den einzelnen Informationen: Die Information über die Anhängigkeit eines Ermittlungsverfahrens als solches kann mitunter anders zu bewerten sein als die Information über einzelne Ermittlungsergebnisse oder über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens. In vielen Fällen sei die Informierung der Medien sogar im Interesse der Betroffenen notwendig, wenn etwa darüber berichtet wird, gegen welche Personen innerhalb eines Verbands keine Ermittlungen geführt werden. Dass sich dadurch im Umkehrschluss auch herausstellen kann, gegen wen Ermittlungen geführt werden, sei natürlich problematisch, so Jarosch. Deshalb sieht er über die bestehenden rechtlichen Regelungen hinaus - er nannte etwa den derzeit in Überarbeitung befindlichen Medienerlass - die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung, die die Kriterien der Interessenabwägung für die Medienarbeit klarstellt.
Univ.-Prof. Berka widmete seine Ausführungen dem verfassungsrechtlichen Überbau der Medienarbeit. Berka warf in Hinblick auf das Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG die Frage auf, auf welcher Rechtsgrundlage die Medienarbeit der Justiz erfolge. Abgesehen von einzelnen Befugnissen, wie etwa der Informationsweitergabe im Zuge von Fahndungen, sieht er keine explizite gesetzliche Grundlage. Man könne eine solche Kompetenz des Staates allenfalls aus den allgemeinen demokratischen und rechtsstaatlichen Grundprinzipien ableiten. Auch datenschutzrechtlich sei die Weitergabe von strafrechtsrelevanten Daten an die Medien an enge Grenzen gebunden. Besonders heikel erscheint Berka das Fehlen eines ausreichenden Rechtsschutzes gegen die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, die durch eine Informationsweitergabe im Rahmen der Medienarbeit erfolgen. Hinsichtlich des Konflikts mit der Amtsverschwiegenheit sieht Berka ausreichende gesetzliche Kriterien für eine Interessenabwägung: Dazu könnten die Wertungen der §§ 6-7c MedienG herangezogen werden: Jene Informationen, die Massenmedien nicht veröffentlichen dürfen, dürften demnach auch nicht Gegenstand behördlicher Medienarbeit sein.
Univ.-Prof. Reindl-Krauskopf behandelte abschließend die strafrechtliche Dimension der Öffentlichkeitsarbeit durch Mediensprecher von Polizei und Justiz. Zunächst analysierte Reindl-Krauskopf den Tatbestand des § 310 StGB. Ein Verrat von Amtsgeheimnissen setze das Bestehen eines Geheimnisses voraus. Daran mangle es bereits, wenn der vom Mediensprecher vermittelte Inhalt eine bereits allgemein bekannte Tatsache sei. Die Weitergabe der Information müsse für eine Strafbarkeit zudem geeignet sein, geschützte Interessen zu verletzen. Auch hier gelte es somit, eine Interessenabwägung durchzuführen. Weiters sei zu überlegen, ob für behördlich legitimierte Mediensprecher, für die die Informationsweitergabe an die Medien eine berufliche Alltagshandlung ist, an Stelle des allgemeinen dolus eventualis der Vorsatzgrad der Wissentlichkeit sachgerechter wäre. Die Parallele ua zur Wissentlichkeit beim Amtsmissbrauch lege dies nahe. Reindl-Krauskopf sprach aber neben dem Persönlichkeitsschutz auch den Schutz der Unabhängigkeit der Justiz im Zusammenhang mit der Öffentlichkeitsarbeit und Berichterstattung an: So wäre zu überlegen, die Strafbestimmung des § 23 MedienG auch auf das Ermittlungsverfahren auszudehnen, zumal überbordende öffentliche Beweiserörterung auch in diesem Verfahrensstadium geeignet sein kann, den Ausgang eines Strafverfahrens zu beeinflussen.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete unter der Leitung von Dr. Koller eine intensive Diskussion unter reger Beteiligung des hochrangigen Publikums, in der sich fast alle Diskutanten einig waren, dass im Medienzeitalter auch Polizei und Justiz nicht ohne eine effektive Medienarbeit auskommen können. Ob es zusätzlicher gesetzlicher Regelungen bedarf, um die Grenzen der Medienarbeit abzustecken, oder ob mit den bestehenden Bestimmungen in der StPO, den berufsrechtlichen Regelungen oder allenfalls auch mit den Wertungen des MedienG das Auslangen gefunden werden kann, darüber herrschten jedoch unterschiedliche Ansichten. Angesprochen wurde auch die Rolle des investigativen Journalismus, insbesondere im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen im laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dr. Koller betonte als Vertreter der Medien die Bedeutung eines kritischen, investigativen Journalismus. Das Podium war sich letztlich darüber einig, dass die Mediensprecher sowie Journalisten im Grunde dasselbe Ziel verfolgen, nämlich die Informierung der Bevölkerung. Beide Bereiche finden ihre Grenzen aber dort, wo die berechtigten Interessen des Betroffenen in unverhältnismäßiger Weise berührt werden und das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zurückzutreten hat.
Kick-Off des ALES am 7.11.2011
Am 7.11.2011 fand im großen Festsaal der Universität Wien die feierliche Kick-Off-Veranstaltung des neuen Forschungszentrums für Polizei- und Justizwissenschaften ALES (Austrian Center for Law Enforcement Sciences) statt. Nach Begrüßungsworten des Rektors o. Univ.-Prof. Dipl. Ing Dr. Heinz Engl stellte ALES-Leiterin Vizedekanin Univ.-Prof. Dr. Susanne Reindl-Krauskopf das neue Forschungszentrum als innovative Schnittstelle zwischen Justiz, Polizei und Wissenschaft vor, das zu einem modernen Law Enforcement durch interdisziplinäre Forschung, Aus- und Weiterbildung sowie Veranstaltungen beitragen wird. Dabei konnte Prof. Reindl-Krauskopf bereits das Bundesministerium für Justiz sowie das Bundesministerium für Inneres als starke strategische Partner präsentieren. Frau Bundesministerin für Inneres Mag. Johanna Mikl-Leitner kündigte in ihrer Keynote an, gemeinsame Forschungsprojekte zu initiieren und die Ergebnisse in strategische Entscheidungen einfließen zu lassen. Zugleich betonte sie die Wichtigkeit einer wissenschaftlichen Unterstützung der Aus- und Weiterbildung. Frau Bundesministerin für Justiz Dr. Beatrix Karl verwies in ihrer Keynote auf zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten zwischen dem Justizbereich und ALES, die dem Ziel eines modernen Law Enforcements dienen können. Aktuell ist ALES vom Bundesministerium für Justiz mit der dogmatischen Evaluierung des § 278a StGB ("Kriminelle Organisation") beauftragt.
In der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Moderation des Rechtsschutzbeauftragten beim BMI em. Univ.-Prof. Dr. Dr. hc. Manfred Burgstaller diskutierten Sektionschef Dr. Mathias Vogl (BMI), Sektionschef Mag. Christian Pilnacek (BMJ), RA Dr. Alexia Stuefer, Dr. Barbara Toth (Falter) sowie stv. ALES-Leiter Univ.-Prof. Dr. Christian Grafl kontrovers über die "Strafverfolgung als Teil der Gesellschaft". Dabei wurde das Bild von Polizei und Justiz in den Medien ebenso angesprochen wie die Reform des strafprozessualen Vorverfahrens.
Gelegenheit zu vertiefenden Gesprächen bot anschließend an den offiziellen Teil ein Empfang im kleinen Festsaal der Universität Wien.